Israelische Tageszeitungen haben am 4. Februar die Liste mit den zur Wahl stehenden Parteien veröffentlicht. Demnach können Israelis zwischen 34 Parteien wählen: von Ahrayut – ein Herz und neuer Geist bis Zchuyot Hagever Bamishpaha – Die Familienrechte der Männer: Raash.
Dazwischen liegen die „großen“ Parteien. Laut Umfragen wird keine mehr als 30 Sitze in der 120 Sitze umfassenden Knesset, dem israelischen Parlament, erhalten. Ende Januar lag die von Ariel Sharon gegründete und jetzt von der derzeitigen Außenministerin Tzipi Livni angeführte Partei Kadima bei 25 Mandaten, die von Oppositionsführer Benjamin Netanyahu angeführte Likud-Partei bei 28 Mandaten, und die von Verteidigungsminister Barak angeführte Arbeitspartei bei14 Mandaten.
Die Arbeitspartei wurde von der Partei Yisrael Beteinu von Avigdor Lieberman überrundet, die jetzt bei 15 Mandaten liegt. Diese Partei, deren Vorsitzender von arabischen Knesset-Mitgliedern und manchen jüdischen Israelis als der israelische Jörg Haider oder als Faschist bezeichnet wird, könnte leicht zum Zünglein an der Waage werden. Keine der anderen „großen“ Parteien will vor der Wahl eine Koalition mit Lieberman und seiner Partei ausschließen. Lieberman, in den 1970er Jahren aus der Sowjetunion nach Israel eingewandert, war 1996 Büroleiter des damaligen Ministerpräsidenten Netanyahu. Ende 1999 gründete er seine eigene Partei.
Während seine Partei früher vornehmlich von Israelis gewählt wurde, die aus Russland stammen, weitet sich sein Wählerpotential zunehmend aus, nicht zuletzt infolge des Gaza-Krieges. Er greift mit Vorliebe die arabischen Abgeordneten im Parlament an. Seine steigende Popularität ist nicht zuletzt den Slogans „Ohne Loyalität gibt es keine Staatsbürgerschaft“ und „Nur Lieberman versteht Arabisch“ geschuldet. Damit drückt er aus, was viele in Israel denken: Die arabischen Staatsbürger Israels sollen sich in die (zionistischen) Reihen eingliedern, bevor sie irgendwelche Forderungen stellen.
Doch auch jenseits erfolgreicher „Eingliederung“ hat Liebermann eigene Vorstellungen von der Zukunft eines Teils der palästinensischen Staatsbürger Israels. Lieberman ist nicht grundsätzlich gegen einen palästinensischen Staat. In den Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde, so seine Forderung, sollen die Grenzen aber so gezogen werden, dass möglichst viele arabische Ortschaften, die im Moment zu Israel gehören, Teil des palästinensischen Staates werden. Die Betroffenen, die das nicht wollen, sollen nicht gefragt werden - demografische Flurbereinigung. Vor allem junge Leute neigen ihm und seinen Ansichten zu, wie zahlreiche Scheinwahlen an Gymnasien gezeigt haben.
Die anderen Parteien sind ultraorthodoxe Parteien, wobei die sephardische Shas-Partei die größte Rolle spielt, zwei ultranationalistische Parteien (eine davon religiös) und die „arabischen Parteien“, die mehrheitlich von arabischen Staatsbürgern gewählt werden. Die Partei der Pensionäre, die der Überraschungssieger der letzten Wahlen war, kann sich nicht sicher sein, erneut in die Knesset einzuziehen.
Die Parteien, die den Begriff „grün“ im Namen führen beziehungsweise sich mit Umweltthemen befassen, sind stark zersplittert. Der Partei Meretz ist es bislang nicht gelungen, nennenswert mit Umweltthemen assoziiert zu werden. Sie tritt diesmal unter dem Namen Meretz – Neue Bewegung an. Sie hat auf zweien der ersten fünf Listenplätze Personen mit umweltpolitischem Profil und ist deshalb so grün wie noch nie zuvor.
Dem neuen Vorsitzenden Haim Oron war es anfangs gelungen, die Partei populärer zu machen - unter anderem erhielt er die Unterstützung einer Reihe bekannter israelischer Schriftsteller. Inzwischen sind die Umfragewerte von Meretz aber wieder geschrumpft. Dies dürfte nicht zuletzt auf den Gaza-Krieg zurückzuführen sein, den große Teile von Meretz anfangs gerechtfertigt haben, um dann relativ schnell in Opposition dazu und vor allem zu der Bodenoffensive zu gehen. In Umfragen liegt die Partei jetzt bei der Anzahl der Abgeordneten, die sie im Moment hat: magere fünf.
Erneut zur Wahl treten die Grünen an, unter dem Namen Grüne - Für ein grünes Israel. Diese Partei hätte bei den letzten Knesset-Wahlen im März 2006 fast die Zwei-Prozent-Hürde übersprungen. Sie wird allerdings von den meisten Umweltaktivistinnen und -aktivisten verachtet, weil sie eine Ein-Punkt-Partei ist, die sich ausschließlich mit dem Thema Umwelt befasst, sie eine undurchsichtige Struktur hat und wesentlich von einem, von vielen als problematisch empfundenen Vorsitzenden bestimmt wird.
Aus all diesen Gründen hat sich eine alternative Partei gegründet, die unter dem Namen Green Movement - Meimad antritt. Viele derjenigen, die im Green Movement aktiv sind, bringen jahrelange Erfahrungen in Umweltorganisationen mit. Die Partei Meimad, mit der sie sich zusammengeschlossen haben, ist eine kleine religiöse Partei, die als einzige unter den religiösen Parteien nicht nationalistisch und/oder ultraorthodox ist. Ihr Abgeordneter Rabbi Melchior hatte bislang eine Fraktionsverbindung mit der Arbeitspartei. Obgleich Green Movement - Meimad laut Umfragen keine Chancen hat, rechnen sich einige Akteure doch einen Erfolg aus. Eine Begründung lautet, ihre Wählerschaft bestehe vornehmlich aus jungen Menschen, von denen viele nicht über einen Festnetzanschluss verfügten, sondern nur über Mobiltelefone. Die Umfragen jedoch würden immer über Festnetztelefone durchgeführt.
Ein Problem könnte allerdings sein, dass viele Israelis die Unterschiede zwischen den verschiedenen grünen Parteien nicht nachvollziehen können. Verschärfend kommt hinzu, dass es noch die Partei Das Grüne Blatt gibt, die u.a. für die Legalisierung von Marihuana eintritt. Und damit nicht genug: Deren bisheriger Vorsitzender gründete, nachdem er nicht wiedergewählt worden war, eine weitere Partei: Absolventen der Partei Grünes Blatt und Holocaust-Überlebende.
Der Gaza-Krieg überlagert den Wahlkampf. Themen, die nicht unmittelbar sicherheitsrelevant sind, haben noch weniger Chancen, aufgegriffen zu werden, als sonst bei Wahlkämpfen.
Trotz der Welle des Patriotismus infolge des Gaza-Krieges wird sich noch zeigen müssen, ob dieser etwas an der Politikverdrossenheit der israelischen Bevölkerung geändert hat. Beigetragen dazu hat die Diskussion über die fehlenden Voraussetzungen für einen Friedensprozess sowie die zahlreichen Korruptionsvorwürfe gegen Regierungsmitglieder, allen voran Ministerpräsident Olmert. Bei den letzten Parlamentswahlen war die Wahlbeteiligung so niedrig wie noch nie zuvor in der Geschichte Israels: Sie lag bei 64 Prozent. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Wahlbeteiligung diesmal noch niedriger ausfallen wird.
Unabhängig davon, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen wird, das Ergebnis wird aller Wahrscheinlichkeit nach wenig Aussichten darauf eröffnen, dass die enormen Konflikte Israels rasch angegangen werden.
Der ehemalige Mitarbeiter von Ministerpräsident Barak und Verfasser der Genfer Initiative, Daniel Levy, brachte das kürzlich auf den Punkt:
„Trotz aller Versuche, sich voneinander zu unterscheiden, bieten alle wichtigen Parteien Israels eine kompakte Diät des Immergleichen an. Ob die Aufschrift ‚Fortsetzung des Annapolis Prozesses’ oder ‚Ökonomischer Frieden’ heißt, wir wissen schon, wie die unappetitlichen Resultate aussehen werden: weitere Improvisation, keine Strategie - dafür mehr Taktik, und schwierigen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, wird ausgewichen, wo es nur geht.“
Der nächste Ministerpräsident wird aller Wahrscheinlichkeit nach Benjamin Netanyahu heißen. Doch das bedeutet nicht zwangsläufig eine Rechtskoalition, der auch Avigdor Liebermann angehören wird. Zwar hat Netanyahu ihm kürzlich einen wichtigen Kabinettsposten in Aussicht gestellt, doch in den Tagen vor der Wahl wird vielerlei erklärt. Einiges spricht dafür, dass es zu einer Koalition kommen könnte, der Likud, Kadima, Arbeitspartei und Shas angehören, nicht aber Yisrael Beteinu. Politische Initiativen hinsichtlich des israelisch-palästinensischen Konfliktes sind von einem solchen Bündnis kaum zu erwarten. Und so wird die weitere Entwicklung wesentlich von der Politik der US-amerikanischen Regierung und von Präsident Obama abhängen.
Jörn Böhme leitet das Büro Israel der Heinrich-Böll-Stiftung.